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27.03.2023
Aiwangers Freie Wähler wollen mehr von Söders Kuchen

Augsburg (Der Neue Tag - 27.03.2023)

Vor fünf Jahren machte sich CSU-Chef Markus Söder gerne über den großen Regierungswillen von Hubert Aiwanger lustig. Das Blatt hat sich gedreht. Denn die CSU braucht die Freien Wähler mehr denn je.

Am Ende seiner Rede ist Hubert Aiwanger so gelöst wie selten. Erst blickt der 52-jährige Chef der Freien Wähler nur zufrieden, dann bricht mehr und mehr ein Lächeln, am Ende gar ein richtiges Lachen aus ihm heraus. Es ist einer der wenigen Momente, in denen der Niederbayer Emotionen zeigt, die über politischen Ärger in einer Rede hinausgehen. Und es scheint, als wäre ihm in diesem Moment eine tonnenschwere Last von der Seele gefallen. Dazu passend zerpflückte er den Blumenstrauß, der ihm nach seiner 45-minütigen Parteitagsrede eilig in die Hand gedrückt wurde. Die Blumen landeten dann bei den vor ihm stehend applaudierenden Delegierten.
Die Szene auf dem Parteitag in Augsburg zeigt: Ohne den niederbayerischen Agraringenieur geht bei den Freien Wählern nichts und selbst er hätte sich zu Beginn seiner politischen Karriere wohl kaum träumen lassen, jemals einen derartigen Erfolg zu haben. Und mehr noch: Wurden die Freien Wähler 2018 noch vor der Wahl immer wieder für ihr Wahlziel, mit der CSU zu regieren, belächelt oder gar verspottet, sind sie längst für Ministerpräsident Markus Söder zur unverzichtbaren ersten Wahl gewachsen. 
„Es gab ja Phasen, da haben einige gehofft, diese Koalition würde zerbrechen und dann würden endlich, endlich die Grünen reinkommen und die Freien Wähler könnte man für gescheitert erklären, weil sie in der Stunde der Not nicht bereit sind, gewisse Wege mitzugehen“, beschreibt Spitzenkandidat Aiwanger die am 8. Oktober endende erste Regierungszeit seiner Partei. Aber diese Manöver seien gründlich gescheitert, „wir haben den Braten gerochen. Nein, wir lassen uns nicht abschütteln. Nein, wir lassen uns auch nicht vorwerfen, wir würden zu eng mit dem Koalitionspartner kuscheln.“

Hoffnung auf mehr Macht
Für die Wahl in etwas mehr als sechs Monaten haben sich Aiwanger und Co. viel vorgenommen: Sie wollen nicht nur erneut mit der CSU regieren und sich als liberalen konservativ-bürgerlichen Gegenentwurf zur Ampel-Regierung im Bund präsentieren. Vielmehr gärt unter den Freien Wählern die Hoffnung, bei der nächsten Regierung ein noch größeres Stückchen vom Kuchen der Macht zu bekommen. 
Aiwanger vermeidet es zwar in seiner Rede, eine Prozentzahl als Wahlziel vorzugeben, das übernimmt dafür Vize-Landeschef und Kultusminister Michael Piazolo später, als er einmal mehr die 15-Prozent-Marke als realistische Größe bezeichnet. 2018 hatten die Freien Wähler 11,6 Prozent der Stimmen geholt.
In Umfragen liegen die Freien Wähler seit Monaten zwar konstant aber doch „nur“ zwischen zehn und elf Prozent. Auf Nachfrage erklärte Aiwanger, er sehe für die Freien Wähler viel Potenzial, Wähler von CSU, FDP, SPD und Grünen abzuwerben: „Ich glaube, dass wir von überall Stimmen einsammeln können.“ Ob dies dann auch automatisch zu mehr Kabinettsposten als die derzeitigen Ämter für drei Minister und zwei Staatssekretäre führt? Generalsekretärin Susann Enders gibt sich selbstbewusst: „Auf jeden Fall haben wir Anspruch auf weitere Ministerien, wenn unser Ergebnis weiter in die richtige Richtung geht.“ Die Freien Wähler seien bereit für jedes Ministerium.
Um das Ziel nicht zu gefährden, geben sich Aiwanger und Co. gegenüber der CSU und Söder so harmonisch, dass es schon auffällt. Während es in der Grundsatzrede Kritik für SPD, Grüne und FDP nur so hagelt, genießt die CSU auch hier einen bisher nie gekannten Schutz. Einmal erwähnt Aiwanger, dass die CSU auf EU-Ebene mal falsch abgebogen sei. 
Zur Erinnerung: Im Wahlkampf 2018 wollten sich Aiwanger und Söder noch gegenseitig auf den Mond schießen. Immer wieder betonte Aiwanger damals, man dürfe Söder – der damals auch noch ein Bündnis mit den Grünen für vorstellbar hielt – das Land nicht alleine anvertrauen. Und im Wahlprogramm besetzten die Freien Wähler als Stachel im Fleisch der CSU die Themen, die die CSU nicht auf dem Zettel hatte. 

Kaum thematische Unterschiede 
2023 gleicht die Suche nach thematischen Unterschieden zur CSU der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Entweder gibt es keine Forderungen mehr unter den Freien Wählern, die der CSU widersprechen und bei späteren Koalitionsverhandlungen für Ärger sorgen könnten, oder sie wurden auf den Index gesetzt. Die erneute Absage an eine dritte Startbahn für den Münchener Flughafen ist wohl ebenso konfliktfrei lösbar wie die Forderung für weitere Lockerungen für die Windkraft und die Ablehnung der sogenannten Grundsteuer C.
Die Gefahr einer erneuten absoluten Mehrheit für die CSU sieht auch bei den Freien Wählern derzeit niemand. Nach einem kurzen Umfragehoch in der Coronakrise ist die CSU aktuell meilenweit von einem derartigen Wahlerfolg entfernt. Und doch birgt die zu harmonische und thematische Nähe für die Freien Wähler auch ein gewisses Risiko:

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